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Würzburg: Tag 10 im Sicherungsverfahren – Beschuldigter hat schon lange vor der Tat Stimmen gehört

Topnews
24.06.2022, 15:30 Uhr in Lokales
Prozesstag 10 VCC
Foto: Funkhaus Würzburg

Hätte man die Tat aus Ihrer Sicht mit einem anderen Vorgehen verhindern können? Diese Frage hat das Gericht im Sicherungsverfahren um die Würzburger Messerattacke am Freitag Professor Dominikus Bönsch gestellt.

Er ist ärztlicher Leiter am Zentrum für Seelische Gesundheit. Er und einige seiner Kollegen und Kolleginnen haben jetzt als Zeugen ausgesagt.

Am Würzburger Standort der Klinik war der Beschuldigte bereits vor der Tat vom 25. Juni 2021 mehrfach untergebracht. Insgesamt vier Mal hat er sich für jeweils einige Tage dort in Behandlung begeben. Teils freiwillig und auf Anraten von Freunden und Bekannten, teils nach Zwangseinweisung durch die Stadt Würzburg.

Zu Beginn der Aufnahmen habe er jeweils ängstlich und aufgebracht gewirkt, er habe stark unter Druck gestanden. Auslöser dafür war laut Bönsch, dass der Somalier glaubte, verfolgt zu werden.

Psychische Störungen festgestellt

Man habe Psychosen bei ihm festgestellt, ob die aber durch Drogen oder eine schizophrene Störung verursacht wurden sei anfangs nicht klar gewesen. Ein Toxikologisches Gutachten vom 28.01.21 hat dann ergeben, dass er zumindest in den vergangen zwei Monaten keine Drogen zu sich genommen hat. Nach der Messerattacke ist bei dem Mann allerdings eine Paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden.

Bereits bei seinen ersten Aufenthalten im ZSG habe er von Stimmen berichtet, die er höre, allerdings seien die laut Bönsch eher positiv und bestärkend gewesen, nicht befehlend. Bei den Einweisungen, so die Beobachtung der ärztlichen Zeugen, habe er unter ausgeprägten Ängsten gelitten, Eigen- und Fremdgefährdung habe man nicht ausschließen können.

Während der Aufenthalte habe sich das aber stets schnell gelegt. Er habe sich freiwillig medikamentös behandeln lassen und als er die Klinik nach einigen Tagen dann auf eigenen Wunsch wieder verlassen hat, habe es keine Hinweise mehr gegeben, dass von ihm eine Gefahr ausgeht. Bei den letzten beiden Aufenthalten hat er die Klinik allerdings gegen den Rat der Ärzte verlassen, sie hätten eine Weiterbehandlung für sinnvoll erachtet. Solch ein Rat ist allerdings nur eine Empfehlung, nicht rechtlich bindend.

Und damit zurück zur anfänglichen Frage des Gerichts: Hätte man rückwirkend irgendwas anders machen können?

Hätte man die Tat verhindern können?

Diese Frage hätten sich Bönsch und seine Kollegen selbst oft gestellt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen: Nein, hätten sie nicht. Man habe so gehandelt, wie es die Symptome des Beschuldigten vorgesehen haben.

Ihn gegen seinen Willen längerfristig in der Einrichtung zu behalten ist rechtlich nur schwer möglich, da nach den Behandlungen keine Gefahr mehr von ihm auszugehen schien und sein Zustand sich während des Aufenthalts stets gebessert hatte, musste seinem Wunsch, die Klinik wieder zu verlassen, entsprochen werden.

Auch, dass Menschen mit seinen Symptomen andere Menschen bedrohen oder angreifen sei nicht ungewöhnlich, so Bönsch. Der Beschuldigte hatte im Januar 21 zwei Mitarbeiter einer Obdachlosenunterkunft, in der er gewohnt hatte, mit einem Messer angegriffen.

Zwangseinweisungen

Daraufhin hat die Stadt Würzburg seine Zwangseinweisung ins ZSG veranlasst. So ein Verhalten sei aber nicht ungewöhnlich für Menschen mit seinem Krankheitsbild. „Ich denke, wir alle würden uns außergewöhnlich verhalten, wenn wir davon ausgehen, verfolgt zu werden“, so Bönsch. Die Attacke war, seiner Einschätzung nach, die Folge seiner Psychose.

Auch sei es schwer, Patienten davon zu überzeugen, ihre Medikamente nach der Entlassung weiter zu nehmen. Die Stimmen, die sie hören sind erst einmal nicht von anderen, realen Sinneseindrücken zu unterscheiden. Sie erscheinen genauso wirklich, wie ein vorbeifahrendes Auto. Die Betroffenen erkennen die Stimmen also erstmal nicht als Krankheit.

Entsprechend schwierig sei es manchmal sie davon zu überzeugen, dass Medikamente hilfreich sind, so Bönsch. Helfen kann in solchen Fällen ein stabiles Umfeld oder enge familiäre Bindungen – beides hatte der Beschuldigte nicht.

Auffälliges Verhalten Frauen gegenüber konnte während seiner Psychiatrie-Aufenthalte vor der Tat Ende Juni nicht oder nur vereinzelt festgestellt werden. So schilderte lediglich eine Zeugin, eine Krankenschwester, die am 14.06. in der Einrichtung gearbeitet hatte, dass der Beschuldigte mit Pflegerinnen nicht gesprochen habe, wohl aber mit Pflegern. Damals war der Somalier zum zweiten Mal auf Antrag der Stadt Würzburg ins ZSG eingeliefert worden, nachdem er zuvor unvermittelt in ein Auto eigestiegen war und verlangt hatte, ins Frauenland gefahren zu werden.

Durch ihn bedroht gefühlt haben sich die behandelnden Ärzte des Mannes nicht.

Nach der Messerattacke vom Barbarossaplatz

Nach der Festnahme, einem Klinikaufenthalt und der Unterbringung in der JVA ist der Beschuldigte am 20. Juli, also knapp einen Monat nach der Messerattacke in die Psychiatrie nach Lohr überstellt worden. Ein Psychiater, der damals dabei war und sich in der Folge ausführlich mit dem Beschuldigten auseinandergesetzt hat, hat am Freitag ebenfalls als Zeuge ausgesagt.

Er erzählt, dass es zu Beginn die Anweisung gegeben habe, dass der Somalier keinen Kontakt zu anderen Patienten haben dürfe und vorerst isoliert werden solle. Wegen der Coronapandemie waren die meisten Patienten zum damaligen Zeitpunkt aber ohnehin einzeln untergebracht. Kurz nach seiner Ankunft habe der Beschuldigte angegeben, den Ramadan nachholen und fasten zu wollen. Er habe sich bereit erklärt, mitzuarbeiten und seine Medizin zu nehmen, allerdings erst ab 21 Uhr. Das habe gut funktioniert.

Zu Konfliktsituationen sei es zu Anfang gekommen, weil der Somalier, der zum damaligen Zeitpunkt Vegetarier war, überzeugt gewesen sei man würde ihm Schweinefleisch zu essen geben. Das habe sich mit der Zeit aber beruhigt, er hat sein Fasten beendet und normal gegessen.

Vogel gibt Befehle

In der Folge hat er um einen Gebetsteppich gebeten und bis zu fünfmal täglich gebetet. Die ganze Zeit über war er von den anderen Patienten isoliert. Allerdings hat er über viele Monate hinweg Besuch von einem großen schwarzen Vogel bekommen. Der sei an seinem Fenster oder auch im Zimmer erschienen und habe ihm Befehle erteilt und religiöse Weisungen gegeben. Der Vogel war eine optische und akustische Halluzination.

Außerdem habe der Beschuldigte in Gesprächen geäußert, dass er ein Agent diverser Geheimdienste sei, dass er verfolgt werde, dass Geheimagenten versuchen würden ihn schwul zu machen und der Geheimdienst und die Deutsche Polizei würden ihn zur Frau machen wollen.

In seinen klaren Momenten sei der Mann aber freundlich gewesen und habe auch nicht versucht religiös zu missionieren. Während seines Aufenthalts wurden die Medikamente, die er bekam, mehrfach angepasst. Nach einer Änderung Ende 2021 verschwand der schwarze Vogel. Auch habe der Patient nicht mehr über Geheimdienste gesprochen.

Seine Tat habe er im Folgenden damit erklärt, dass Deutschland ihn über Jahre hinweg schlecht behandelt habe und er deswegen so habe handeln müssen. Er habe die Gerechtigkeit in Deutschland nicht erhalten und habe sie deswegen herstellen wollen, indem er nach eigenen Angaben extrem viele Menschen tötet.

Reue für seine Tat habe er nicht geäußert. Allerdings habe er einmal in einem Gespräch mit dem Psychiater gefragt, wie alt sein jüngstes Opfer war. Es sei für ihn nämlich nicht vereinbar, ein Kind zu verletzen. Ein Kind für ihn sei ein Mädchen, das noch nicht die Periode bekommen hat.

Herkunft

Nach eigenen Angaben ist er in Mogadischu geboren, war acht Jahre in der Schule. Sein Vater sei ermordet worden, er lebte bei seiner Mutter und habe zwei Brüder. Seine beiden Schwestern seien ebenfalls verstorben. Nach der Schulzeit ist er nach Kenia gegangen, hat in verschiedenen Unterkünften gelebt und zwischenzeitlich als Händler gearbeitet. In einer Flüchtlingsunterkunft habe er geheiratet und zwei Kinder bekommen. Über weitere Stationen in Afrika und Italien ist er schließlich nach Würzburg gekommen.

Weiter geht der Prozess am Montag mit den Zeugenaussagen von Polizisten. Am 14.07. sagen weitere Polizisten aus, darunter die beiden Hauptverantwortlichen Beamten in dem Fall. Ende Juli folgt die Aussage zweier Gutachter, danach könnte das Verfahren bereits zu Ende gehen – zwei Monate früher als ursprünglich geplant.